Persönlich

Salome Hofer

Leiterin Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik bei Coop

«Nachhaltigkeit ist eine wichtige Argumentationslinie für uns in der Wirtschaftspolitik.»

Salome Hofer

Seit 2011 arbeitet sie am Hauptsitz bei Coop in Basel. 2019 wurde ihr die Leitung Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik übertragen. In ihrer vorherigen Funktion als Stv. Leiterin Wirtschaftspolitik standen Agrarpolitik, Lebensmittelrecht und Binnenmarktfragen im Zentrum ihrer Aufgaben. Berufsbedingt ist sie Mitglied im Vorstand der IG Agrarstandort Schweiz (IGAS) und Präsidentin des Soja Netzwerks Schweiz. Salome Hofer hatte Politikwissenschaften und Kommunikationsmanagement studiert. Ganz jung begann die heute 36-Jährige zu politisieren. Seit 2009 wirkt sie als Mitglied der SP-Fraktion im Grossen Rat Basel-Stadt, den sie 2020/21 präsidierte. 

In ihrer freien Zeit verbringt sie gerne Zeit mit Freunden, wandert gerne und macht Yoga und Pilates. Sie bezeichnet sich als eine leidenschaftliche Fasnächtlerin und spielt Piccolo. Ehrenamtlich engagiert sie sich zudem bei «Kulturstadt Jetzt», beim Verein compas und im Vorstand des Musikbüros Basel.

Verstärkte Anstrengungen, bedeutende Fortschritte

Seit Jahrzehnten setzt sich Coop für Nachhaltigkeit ein und lässt Worten Taten folgen. Mit seinen Mehrjahreszielen 2022–2026 legt das Unternehmen noch einen Zacken zu. Hier im Interview befragt das Kornmagazin Salome Hofer, Leiterin Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik bei Coop, zu den grossen Linien und wichtigen Neuerungen.
Bis 2027 will Coop ihr Bio-Brot-Sortiment aus 100 Prozent Knospe-Getreide aus der Schweiz herstellen. Bild: iStock

Sie, Frau Hofer, sind Leiterin Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik bei Coop. Was beinhaltet Letzteres? 
Salome Hofer: In der Wirtschaftspolitik stellen wir die Interessenvertretung von Coop in der Schweizer Politik sicher. Wir verfassen Vernehmlassungsantworten, schreiben Positionspapiere, tauschen uns mit Stakeholdern aus, um gemeinsame Positionen zu erarbeiten und bringen unsere Vorschläge faktenbasiert in den politischen Prozess ein. Nachhaltigkeit ist eine wichtige Argumentationslinie für uns in der Wirtschaftspolitik. Deshalb macht es Sinn, dass bei uns beide Bereiche in einem Team vereint sind. 

Die Nachhaltigkeitsstrategie von Coop umfasst detaillierte Mehrjahresziele bis 2026. Gibt es da Initialmomente?
Insgesamt bauen wir auf der bestehenden Strategie mit den drei Säulen auf (Details, Verwandter Artikel). Etwas Initiales hat die Strategie insofern, weil wir über unsere Antriebsfelder hinausschauten, in denen wir uns profilieren wollen. Wir fragten: Was erwarten die Anspruchsgruppen von uns? Jedes Jahr führen wir einen Stakeholder-Dialog durch, zu dem wir über 50 Organisationen einladen. Darunter NGOs, Umweltschutzverbände, Konsumentenschützer, Gewerkschaften, karitative Organisationen, Bundesämter, Wissenschaftsvertretungen. Von Bio-Suisse über den Bauernverband bis hin zu Economiesuisse – alle sind mit dabei. Neben Vorträgen versuchen wir, in Kleingruppen an aktuellen Themen zu arbeiten. 

Zudem haben wir unsere Kundinnen und Kunden als unsere Haupt-Stakeholder dazu befragt, welche Nachhaltigkeitsthemen relevant sind und angegangen werden sollten. Viele davon hatten wir schon auf dem Schirm. Dennoch ist es wichtig, zu betonen, dass wir die Themen der neuen Strategie auf der Basis dieser Feedbacks definierten. 

Was imponiert Ihnen an den neu definierten Zielen und Ausrichtungen? 
Die Themen Due Diligence (Sorgfaltsprüfung) und Transparenz gehen wir wirklich neu an. Wir wollen genau wissen, von wo kommen unsere Produkte, was für Probleme gibt es dort allenfalls, was ist zu tun? Auch unser Klimaschutz-Engagement stellten wir nochmals ganz neu auf. Mir imponiert, dass wir die ganze Coop-Gruppe mit Detailhandel, Produktion und Grosshandel auf dem Schirm haben und alle relevanten Themen auch verstärkt in den Transgourmet Ländergesellschaften angehen. In dieser umfassenden Art ist das neu und insofern auch herausfordernd, weil wir alle Eigenmarken anschauen und nicht bloss sagen, wir haben ja Bio, alles ist gut. Auch bei unserer Tiefpreislinie Prix Garantie wollen wir Nachhaltigkeits-Mindeststandards umsetzen. Schon in der Periode 2014 bis 2021 hatten wir im Grosshandel Zielsetzungen, aber oft waren es qualitative Ziele und oft betraf es nicht alle Ländergesellschaften. Zum Beispiel beim Thema Tierwohl haben wir neu ein quantitatives Ziel. Das ist durchaus herausfordernd für den Grosshandel.


Begrenzte Ressourcen

Wie definieren Sie den Nachhaltigkeitsbegriff bezogen auf Staat und Wirtschaft?
Die für mich treffendste Definition ist die UN-Definition, dass man mit den beschränkten Ressourcen auf unserem Planeten so umgeht, dass die folgenden Generationen diese auch noch nutzen können. Schauen wir auf die natürlichen Ressourcen Wasser, Boden, Biodiversität und Luft: Wenn wir den Planeten überlasten und auch nur eine dieser Ressourcen verloren geht, gerät das globale Ökosystem aus der Balance und wir verlieren unsere Lebensgrundlagen. 

Meiner Meinung nach ist nur eine nachhaltig produzierende Landwirtschaft in der Schweiz längerfristig zielführend.

Salome Hofer


Angesichts der sich durch Krieg und Klima dramatisch verschärfenden Hungersnöte in Teilen der Welt braucht es in unseren Breiten viel grössere Anstrengungen gegen Food Waste. Coop spendete 16.5 Millionen Mahlzeiten im Jahr 2021, hat unter der Eigenmarke «Ünique» krumme Rüebli im Sortiment oder bringt mit einem Kleber «verwenden statt verschwenden» Produkte an die Leute. Bis 2026 hat Coop das Ziel, «noch geniessbare Lebensmittel flächendeckend zu verwerten». Was bedeutet das genau?
Das ist korrekt. Wir optimieren Bestellprozesse, bieten Produkte zu reduzierten Preisen kurz vor dem Verkaufsdatum an, arbeiten mit nationalen Spendenorganisationen zusammen und investieren in innovative Produkte, um Food Losses (Lebensmittelverluste) zu reduzieren. Wir ergreifen auch in den nächsten Jahren diverse Massnahmen, um auf all diesen Ebenen noch mehr zu erreichen. 

Eine Möglichkeit, den Selbstversorgungsgrad der Schweiz zu steigern, wäre, dass wir nicht verschwenden und weniger Fleisch essen. Gewisse Polit- und Bauernkreise propagierten unlängst jedoch eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion. Was halten Sie davon? 
Agrarpolitik muss man langfristig gestalten. Meiner Meinung nach ist nur eine nachhaltig produzierende Landwirtschaft in der Schweiz längerfristig zielführend. Es wäre falsch, kurzfristig Massnahmen mit langfristigen Folgen zu implementieren. Wir fänden es beispielsweise kritisch, wenn die Biodiversitätsflächen wegfallen oder anders genutzt würden. Diese sind Teil der verabschiedeten Agrarpolitik, wie sie die Gesellschaft möchte und die auch uns überzeugt.

Spätestens 2050 wollen wir Netto-Null erreicht haben. Das wird uns alle herausfordern.

Salome Hofer



Klimaziel Netto-Null

Im Hinblick auf Überlastung und aus dem Gleichgewicht geraten des Planeten, fragt sich nicht nur die Klimajugend: Ist 2050 für das Ziel Netto-Null-Emissionen zu spät? 
Mit Überzeugung richtet sich Coop nach den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens, das die Schweiz 2017 ratifizierte (Details, Verwandter Artikel). Es gibt auf jeden Fall Leute, die wissenschaftlich mahnen, Netto-Null im Jahr 2050 sei zu spät: Weil die Erderwärmung bis dahin schon übermässig zur Gletscherschmelze an den beiden Polen beigetragen haben werde. Eine Klammerbemerkung: Klimawandel, Kreislaufwirtschaft, Due Diligence im Sinne der Sorgfaltspflicht in der Lieferkette – die grossen Nachhaltigkeits-Herausforderungen der heutigen Zeit sind nicht im Alleingang zu bewältigen. Wir denken, es macht Sinn, sich den internationalen Vorgaben anzuschliessen und die Probleme in einer einheitlichen Art und Weise anzugehen. Wir sagen aber auch, spätestens 2050 wollen wir Netto-Null erreicht haben. Das wird uns alle herausfordern.

Die Dringlichkeit wird Jahr für Jahr wissenschaftlich immer mehr bestätigt. Werden in absehbarer Zeit global striktere Massnahmen unumgänglich sein? 
Früher oder später dürften von der Politik und der Gesellschaft her noch strengere Restriktionen kommen. Entscheidend ist es aber, dass wir uns heute darum kümmern und mehr machen, auch freiwillig. Coop hätte zum Beispiel nicht The Science Based Targets initiative (SBTi) unterschreiben müssen, aber wir taten es (Details, Verwandter Artikel). Ich glaube, wenn nicht die Unternehmen jetzt vorausgehen, passiert relativ wenig. Mit ein paar Ausnahmen befürworteten viele Unternehmen 2021 das revidierte CO2-Gesetz. Die Schweizer Stimmbevölkerung hingegen lehnte dieses an der Urne knapp ab.

Bei den Warentransporten für den Detailhandel setzt Coop zunehmend auf emissionsarme Transportmittel. Seit 2016 sind mit Wasserstoff angetriebene LKWs im Einsatz. Bild: Coop

Bislang kann eine fehlende CO2-Reduktion in der Schweiz durch den Kauf von Ausland-Zertifikaten freiwillig ausgeglichen werden. Mit den Netto-Null-Zielen wird mit derlei Kompensationen, die teils als Greenwashing oder gar als Ablasshandel kritisiert werden, aber längerfristig Schluss sein? 
Ja, Netto-Null heisst, ich vermeide an Ort und Stelle Emissionen, es sollen erst gar keine Treibhausgasemissionen mehr entstehen. Oder wir reduzieren sie massiv, indem wir verschiedene Massnahmen konkret und direkt in der Lieferkette umsetzen. Es reicht gemäss den Vorgaben des Pariser Abkommens künftig nicht mehr, wenn ich irgendwo ein Klimaschutzprojekt machen lasse, um zehn Tonnen Treibhausgase zu kompensieren, während meine Heizung weiterhin jährlich zehn Tonnen CO2 ausstösst. 

In der Landwirtschaft aber gibt es noch viele offene Fragen zur Reduktion von Emissionen. Aktuell werden viele neue Methoden ausprobiert, die Emissionen mindern oder Treibhausgase binden könnten. Ein gutes Beispiel ist Pflanzenkohle, sie bindet Treibhausgase, sorgt in Ackerkulturen für eine positive Nährstoffbilanz und wirkt sich auch verdauungsförderlich bei Kühen aus, so dass weniger Klimagase freigesetzt werden. Die Verfahren und Anwendungen benötigen jedoch noch weitere Tests. Dass Coop für neue Ansätze offen ist, haben wir schon oft bewiesen. Zusammen mit Partnerorganisationen investieren wir in Innovationsprojekte. Mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) arbeiten wir eng zusammen, Projekte haben wir aber auch mit anderen Innovationsunternehmen und dem WWF. Der Coop Fonds für Nachhaltigkeit unterstützt uns dabei. 

Zwar sind mit dem Pariser Abkommen CO2-Kompensationen durch Klimaprojekte in einem anderen Land noch erlaubt, doch unter Auflagen. Was bedeutet das für Coop? 
Sogenannte Offsetting-Projekte an irgendeinem Ort sind nicht mehr erlaubt (ohne effektive Reduktion eigener interner Emissionen). Die Klimaschutzprojekte zur konkreten CO2-Reduktion müssen immer Insetting, also in den eigenen Lieferketten umgesetzt werden. Das Problem, das sich aktuell stellt, liegt bei der Anrechenbarkeit der Emissionsreduktionen. Das bedingt, dass unter verschiedenen Ländern Kooperationsverträge ausgehandelt werden. Die Schweiz hat mit Peru das weltweit erste solche Abkommen getroffen. Dieses ermöglicht es, dass externe Emissionsminderungen in der Schweiz angerechnet werden können. 


Kreislaufprojekte

Seit 30 Jahren spielt Coop im Bio- und Nachhaltigkeitsbereich immer wieder eine Vorreiterrolle, etwa mit ihrem Naturaplan-Label. Sind weiterhin Pioniertaten zu erwarten? 
Tatsächlich war Coop immer wieder Pionierin. Jetzt geht es vor allem darum, offen zu sein, auch weiterhin in die Forschung und in neue Ideen zu investieren und Leaderin zu bleiben. So entwickeln wir aktuell diverse Kreislaufprojekte. Dank unserer Offenheit für neue Ansätze wird Coop immer eine Pionierrolle zukommen, davon bin ich überzeugt. 

Ist Kreislaufwirtschaft ein neuer Fokus bei Coop? 
Einer von sechs, ja, und wir verstärken den Gruppenfokus. Dazu haben wir eine Arbeitsgruppe gegründet, die ganz Coop involviert. Alle Bereiche haben den Auftrag, Potenziale zu finden, sei es in den Sortimenten oder in den Produktionsbetrieben. Wir arbeiten immer wieder auch mit Startups zusammen. In der Kreislaufwirtschaft geht es darum, Materialkreisläufe zu schliessen oder zumindest zu verlangsamen und die Lebensdauer von Produkten zu verlängern. 

Deshalb ist Zoí ein sehr schönes Projekt. Es kann einen Beitrag zu geschlossenen Kreisläufen leisten.

Salome Hofer


Das Pilotprojekt Zoí von Swissmill als Coop-Division könnte ein Beispiel mit Pioniercharakter sein. Dabei dienen Mühlennachprodukte als Nahrungsquelle für die Insektenmast, um hochwertige Proteine, Fasern und Fette herzustellen. 
In vielen Produktionsbetrieben gibt es Nebenströme, die nicht ohne Weiteres nutzbar sind. Da lohnt es sich, verschiedene Möglichkeiten zu prüfen, um beispielsweise aus Müllerei­nebenprodukten etwas zu gewinnen, das wiederum zur Ernährung von Menschen beiträgt, wie es dem Ziel von Swissmill entspricht. Deshalb ist Zoí ein sehr schönes Projekt. Es kann einen Beitrag zu geschlossenen Kreisläufen leisten. 

Gibt es weitere Beispiele? 
Bei Bell haben wir verschiedene Projekte schon umgesetzt und weitere sind in Entwicklung, etwa mit Geflügelfedern. Bell ist nicht einfach ein Fleischverarbeiter, mit «Eisberg» oder Hilcona ist die Bell Food Group auch Herstellerin von Convenience-Produkten wie Salaten. Was dort als pflanzliche Nebenprodukte anfällt, kommt in die Kompogasanlage. Dadurch gewinnen sie einen klimafreundlichen Brennstoff für die Betriebe und ebenfalls Düngemittel für ihren Salatanbau. Der Kreislauf in der pflanzlichen Produktion wird also geschlossen.

Neue Wege im Zero-Waste-Bereich: In ausgewählten Läden bietet Coop lang haltbare Lebensmittel wie Müesliflocken oder Teigwaren im Offenverkauf an. Bild: Coop


Kritische Rohstoffe

Werden die angestrebten Nachhaltigkeitsziele Coop weh tun? 
Sie werden uns auf jeden Fall herausfordern, beispielsweise im Bereich unserer gruppenweiten Tierwohlziele und allgemein bei den von uns eingesetzten kritischen Rohstoffen (Details, Verwandter Artikel).

Unsere Strategie legt fest, dass wir in allen unseren Eigenmarken ausschliesslich Bio-Knospe-Palmöl verwenden.

Salome Hofer


Zu den bekanntlich kritischen Rohstoffen gehört Palmöl. Wie geht Coop damit um? 
Unsere Strategie legt fest, dass wir in allen unseren Eigenmarken – auch bei konventionellen Produkten – ausschliesslich Bio-Knospe-Palmöl verwenden. Eines der grössten Risiken bei Palmöl ist, dass dafür Primär- und Sekundärvegetation abgeholzt wird. Für uns ist das tabu. Bei Knospe-zertifizierten Produkten gibt es ein sogenanntes «Cutoff date», einen Rodungsstichtag. Das heisst, die Bio-Plantagen dürfen nicht auf Flächen sein, die nach einem gewissen Datum abgeholzt wurden; im Fall von Bio Suisse 1994. 

Wird bei Coop demnach heute viel weniger Palmöl eingesetzt als früher? 
Nicht per se. Die Absicht ist, wenn wir Palmöl einsetzen, dann Bio mit den entsprechenden Auflagen. Das führt dazu, dass die Verwendung von Bio-Palmöl für gewisse Produkte in unserem Sortiment zu teuer wird. Entsprechend stellt man die Rezeptur auf ein anderes pflanzliches Fett um, was auch etwas weh tun kann, weil das Produkt vielleicht nicht ganz gleich schmeckt. Palmöl hat hervorragende Eigenschaften: Es ist geruchslos, praktisch ohne Eigengeschmack und die Ernte ist extrem ertragreich; pro Quadratmeter Palmplantage lässt sich verglichen mit Raps oder Sonnenblumen unglaublich viel Öl gewinnen. Bei Kokosfett als Alternative stellten wir im Umwelt- wie auch im Sozialbereich jedoch auch kritische Aspekte fest. Deshalb bauen wir zusammen mit dem FiBL eine Fairtrade- und Bio-Suisse-zertifizierte Produktion in der Elfenbeinküste auf. 


Transparenz

Coop will in den Lieferketten Transparenz schaffen. Können Sie das konkretisieren? 
Wir haben fünf Transparenzkriterien definiert: Bei der Geschäftspartner-Performance fordern wir gemäss ILO ein öffentliches Commitment zu Menschenrechten und sozialen Aspekten. Weiter wollen wir für die Rückverfolgung, wenn immer möglich, nicht bloss das Land, sondern die Region oder Provinz kennen. Um Risiken abschätzen zu können, verlangen wir bei kritischen Rohstoffen genaue Angaben zu den verarbeiteten Mengen, sei dies in Tonnen, in Liter oder in Stück, nicht bloss anteilmässige Prozentangaben in Produkten. Weitere Kriterien sind dann das Land der letzten wertgebenden Verarbeitungsstufe sowie klare Angaben zu Nachhaltigkeits-Mindeststandards oder Tierwohlstandards, auch im konventionellen Sortiment. 

Inwiefern sind die erhöhten Transparenzansprüche eine Herausforderung? 
Sie sind für viele Neuland und denen nachzukommen, ist nicht ganz einfach. Vielleicht ist unser Geschäftspartner ein Handelsunternehmen, das ein Produkt irgendwo einkauft oder Rohstoffe beschafft und dann weiterverarbeitet. In unserer aktuellen Zielperiode fokussieren wir auf die kritischen Rohstoffe. Auch um Erfahrungen zu sammeln und zu lernen. Langfristig ist die Vision, dass wir in unseren Lieferketten generell genau wissen, wie und unter welchen Bedingungen etwas im Einzelnen produziert wurde. Bei Bio wissen wir das bereits ziemlich genau, da die strengen Bio-Richtlinien zusätzlich Transparenz gewährleisten.

Kritisch können Produkte auch sein, weil sie aus trockenen Regionen kommen. Bis 2026 will Coop ihre Produkte aus wasserkritischen Gebieten vollständig aus nachhaltig bewässertem Anbau beziehen. 
Wir haben zusammen mit dem WWF einen eigenen Wasserstandard, «Spring», entwickelt und sind aktuell daran, einen Wasserfussabdruck über all unsere Sortimente zu erstellen. Diverse Produkte beziehen wir bereits vollständig aus nachhaltig bewässertem Anbau. (Details, Verwandter Artikel). 

Als Coop in der Strategie 2015 mit den kritischen Rohstoffen startete, waren es weniger als zehn Rohstoffe und jetzt sind es 18. Um Torf, Baumwolle, Holz und Papier kümmerte man sich schon ab den 2000er Jahren. Unser allgemeiner Ansatz ist es: zuerst schauen, wo man steht, dann sukzessive und risikobasiert Massnahmen umsetzen. Entscheidend ist, dass wir an einem Punkt beginnen und Themen einheitlich angehen. Nicht alles lässt sich sofort und überall machen. Aber wir können von den Erfahrungen profitieren und so auch Erkenntnisse adaptieren.

In Risikoländern hinsichtlich Arbeitsbedingungen und Menschenrechte werden unsere dortigen Lieferanten regelmässig Sozialaudits unterzogen.

Salome Hofer


Gibt es neben kritischen Rohstoffen auch kritische Lieferanten, etwa in Ländern mit problematischer Menschenrechtslage wie China? 
Ganz wichtig ist es, zu unterscheiden: Wir arbeiten nicht mit Ländern, sondern mit Geschäftspartnern zusammen. Wir haben einige Lieferanten in China, diese müssen die genau gleichen Bedingungen erfüllen punkto Nachhaltigkeit wie ein Schweizer Lieferant. Wir sagen nicht, die und die Provenienz kommt für uns nicht in Frage. In Risikoländern hinsichtlich Arbeitsbedingungen und Menschenrechte werden unsere dortigen Lieferanten regelmässig Sozialaudits unterzogen. 

Unsere Anforderungen an Lieferanten sind also überall gleich. Kann ein Lieferant diese – aus welchen Gründen auch immer – nicht erfüllen, ergreifen wir Massnahmen. Ein Beispiel: Wir hatten früher Lieferanten, die uns aus der Westsahara belieferten. Die Zusammenarbeit besteht nicht mehr, weil in unseren nachhaltigen Beschaffungsrichtlinien der Grundsatz enthalten ist, dass kein fossiles Wasser angezapft werden darf. Die Lieferanten konnten uns das nicht gewährleisten. 

Was heisst das? 
Fossiles Wasser ist Wasser in ganz tiefen Gesteinskörpern, das seit der Prähistorie dort unten lagert. In der Westsahara wird das systematisch angezapft. Für die Plattentektonik, das Ökosystem und die Biodiversität ist dieses Wasser teilweise extrem wichtig. Es darf nicht verloren gehen, weil sonst Ungleichgewichte entstehen. Deshalb beziehen wir aus dieser Region keine Rohstoffe mehr. 


Kooperationen und Hilfen

Es heisst, Nachhaltigkeit sei Teil der DNA von Coop, werden alle Mitarbeitenden zum Thema geschult? 
Ja, dafür haben wir E-Learnings, die spezifisch auf den Verkauf und den Einkauf ausgerichtet sind. Bei den Einführungskursen, internen Förderkursen und der Weiterbildung ist Nachhaltigkeit gut implementiert. In Projekten besteht immer ein integraler Ansatz. Da gibt es unterschiedliche Realitäten und Ambitionsniveaus, man muss sich finden. Doch weil viele verschiedene Leute mitziehen, sind unsere Vorhaben auch erfolgreich und praktikabel. 

Als Schnittstelle im Unternehmen kommt Ihrer Abteilung ‘Nachhaltigkeit’ aber bestimmt eine bedeutende Rolle zu? 
Ja, das merke ich zum Beispiel, wenn Leute aus anderen Unternehmensbereichen mit Nachhaltigkeitsfragen auf mich zukommen. Weil wir die relevanten Themenstellungen auf dem Schirm haben und bündeln, kann ich auch ohne Weiteres eine Antwort geben. Ich muss also nicht sagen: Nein, damit haben wir uns noch nie auseinandergesetzt oder in diesem Bereich unternehmen wir nichts. Vielleicht besteht erst ein Pilotprojekt oder wir fangen gerade an, aber wir sind auf der Höhe und haben die relevanten Themen im Griff.

Ob Klima, Kreislaufwirtschaft, Work-Life-Balance – es wird diskutiert.

Salome Hofer


Zum Schluss: Bei all den Nachhaltigkeits-Herausforderungen, denen sich die Gesellschaft stellen muss, sind diese noch zu bewältigen?
Ja, ich glaube, man kann optimistisch sein. Die Themen müssen heute alle beschäftigen, und darum glaube ich, wird sich viel bewegen. Ob Klima, Kreislaufwirtschaft, Work-Life-Balance – es wird diskutiert. Das hilft dann auch, gemeinsam Lösungen zu finden. Dabei bietet auch die Digitalisierung neue Möglichkeiten. 

Inwiefern? 
Transparenz lässt sich heute leichter schaffen als vor 30 Jahren, als man knapp einen Fax hatte und mit Lieferanten nur telefonieren konnte. Heute ist alles viel vernetzter, es bieten sich unzählige Tools an. Wir können zu unseren Lieferanten Schnittstellen bilden und ihnen in einer Plattform alle nötigen Daten zugänglich machen. Früher musste man alles zusammensuchen und in einem Ordner ablegen und dann noch wissen, in welchem Regal der Ordner steht. Da haben wir heute viel mehr Möglichkeiten und Hilfen. Aber klar, Nachhaltigkeit erfordert auf allen Ebenen immer weitere Anstrengungen, da gibt es bei der Umsetzung zuweilen auch Schmerzpunkte. 

Verwandte Artikel

«Vertikale Integration bedeutet, gemeinsame Lösungen zu finden»

Swissmill CEO Romeo Sciaranetti leitet seit Anfang 2023 die Produktionsbetriebe von Coop. Die acht Unternehmen, zu welchen auch Swissmill gehört, sollen in strategischen Bereichen wie Innovation, Digitalisierung und Nachhaltigkeit noch stärker zusammenarbeiten. Ein Gespräch über Zukunftsprojekte, unternehmerische Freiheit und die neue Doppelrolle.

19.01.2024

Wie den Klimawandel stoppen?

Wir wissen es, wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um die Erderwärmung und den Klimawandel zu stoppen. Was unternimmt Coop? Was verlangt das Pariser Klimaabkommen? Ergänzende Informationen zum Interview mit Salome Hofer, Leiterin Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik bei Coop, finden Sie hier.
13.07.2022