Versorgungssicherheit – was heisst das?

Ob Lebensmittel, Energieträger oder Medikamente: Um bei Versorgungsengpässen oder Beschaffungsproblemen fehlende Güter kompensieren zu können, verfügt die Schweiz über Strategien und Pläne. Von grosser Bedeutung sind dabei strategische Lagervorräte, die sogenannten Pflichtlager. Hier finden Sie Details zum Thema.
Die Lagerung klar definierter Pflichtvorräte ist hierzulande eine Aufgabe der Privatwirtschaft. Der Bund empfiehlt jedoch auch Privathaushalten, individuelle Notvorräte zu halten. Bild: iStock

Die wirtschaftliche Landesversorgung ist Aufgabe der Wirtschaft. Wenn die Unternehmen die Versorgung in einer Krisenlage nicht sicherstellen können, so treffen der Bund und nötigenfalls die Kantone die erforderlichen Massnahmen.

Pflichtlagerhalter – Rund 300 private Firmen sind in der Schweiz als Importeure und Erstinverkehrbringer lebenswichtiger Güter der Pflichtlagerhaltung unterstellt. Der Bund gibt den gesetzlichen Rahmen vor; mit dem Bundesamt für Wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) haben die Firmen einen entsprechenden Vertrag. Darin sind die Güter, Lagermengen und deren Qualität festgelegt. Doch auch im Bereich wichtiger Infrastrukturleistungen wie Stromversorgung, Logistik, Informations- und Kommunikationstechnologien verfügt der Bund in Zusammenarbeit mit den Unternehmen über Konzepte, um in Krisen die Grundversorgung sicherstellen zu können. Empfehlungen für Notvorräte in den Privathaushalten ergänzen die Massnahmen.

Pflichtlagerorganisationen – Neben der Réservesuisse Genossenschaft für den Bereich Lebens- und Futtermittel gibt es hierzulande vier weitere privatwirtschaftlich organisierte Pflichtlagerorganisationen. Namentlich für Heilmittel (Helvecura), Mineralölprodukte (Carbura), Erdgas (Provisiogas) und Dünger (Agricura). Als Selbsthilfeorganisationen vertreten sie die Interessen ihrer Mitglieder und sind das Bindeglied zwischen den Firmen und dem Bund. Laut gesetzlichem Auftrag verwalten sie die Garantiefonds und entschädigen die Handels- und Produktionsfirmen über die Garantiefonds. Daneben kontrollieren sie im Auftrag des Bundes die Unternehmen, die mit dem Bundesamt für Wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) einen Pflichtlagervertrag haben.

Im Fall einer schweren Mangellage kann der Bund die Freigabe von Pflichtlagern anordnen.


Versorgungsengpässe – In modernen Gesellschaften gibt es vielfältige wirtschaftliche Verflechtungen und Beziehungen. Werden diese Beziehungen gestört, sei es durch Kriegshandlungen oder Ernteausfälle aufgrund von Naturereignissen können Lieferkettenprobleme entstehen, die gegebenenfalls zu einem Versorgungsengpass führen. Risiken für die Versorgungssicherheit stellen auch Energiemangellagen, Cyberangriffe, Streiks und Pandemien dar. Im Fall einer schweren Mangellage kann der Bund die Freigabe von Pflichtlagern anordnen. Bei einer anhaltenden längeren Krise kämen zudem Rationierungen in Frage, auch Vorgaben für die landwirtschaftliche Produktion und Unternehmen sowie Exportverbote für knappe Güter.

Die Réservesuisse – Infolge von gravierenden Versorgungsproblemen im Zweiten Weltkrieg wurde 1955 die «wirtschaftliche Kriegsvorsorge» hierzulande neu organisiert: Mit einem Versorgungsgesetz, das auch die umfassende Pflichtlagerhaltung verschiedener Wirtschaftszweige regelt. Als einzige Akteure hatten Mühlen im Hinblick auf Truppenversorgungen schon im 19. Jahrhundert eine Sonderstellung; und schon 1929 wurden Mühlen in der Schweiz vom Bund erstmals verpflichtet, private Getreidepflichtlager zu halten. Die Ursprünge der Réservesuisse gehen zurück auf das Jahr 1948. Im 2003 erfolgte der Zusammenschluss früherer Nahrungs- und Futtermittelorganisationen in die Réservesuisse Genossenschaft.

Alle diese Produkte der Vorratshaltung sind aktuell für eine Bedarfsdeckung von drei bis vier Monaten vorgesehen.


Nahrungs- und Futtermittel – Zum Sortiment der lagerpflichtigen Waren im Zuständigkeitsbereich der Réservesuisse zählen: Getreide zur menschlichen Ernährung wie Weich- und Hartweizen, Reis, Zucker, Kaffee Speiseöle/-fette sowie Futtermittel. Alle diese Produkte der Vorratshaltung sind aktuell für eine Bedarfsdeckung von drei bis vier Monaten vorgesehen. 

Garantiefonds – Sämtliche Handels- und Produktionsfirmen, die wichtige Güter wie Reis, Getreide, Speiseöle, Kaffee oder Zucker importieren – auch die grosse Zahl jener, die keine Pflichtlager führen müssen – zahlen solidarisch einen Beitrag in den Fonds der Pflichtlagerorganisation. Dabei werden die Beiträge für die Garantiefonds entweder an der Grenze oder bei der Erstinverkehrbringung durch die Pflichtlagerorganisationen erhoben. Aus diesem Topf werden den Pflichtlagerhaltern ihr Aufwand für die Pflichtlagerhaltung entschädigt sowie allfällige Preisverluste versichert.

Kostenüberwälzung – Die Gesamtkosten für die Pflichtlagerhaltung in der Schweiz liegen bei 13 Franken pro Einwohner und Jahr (5 Franken davon werden für die Lagerung von Nahrungs- und Futtermitteln aufgewendet). Das System ist so aufgebaut, dass nicht der Staat für die Kosten der Pflichtlagerhaltung aufkommt, sondern vielmehr wir als Käuferinnen und Käufer von lebenswichtigen Gütern. So wird beispielsweise beim Import von Reis ein Garantiefondbeitrag von 5.20 Franken pro 100 Kilo Reis erhoben, der auf den Verkaufspreis überwälzt wird.

Selbstversorgungsgrad – Die Schweiz erreichte 2020 bei Lebens- und Futtermitteln gemäss Bund einen Bruttoselbstversorgungsgrad von 57 Prozent und einen Nettoselbstversorgungsgrad von rund 50 Prozent (ohne importierte Futtermittel). Der Selbstversorgungsgrad durch inländische Produktion auf einzelne Güter bezogen sieht wie folgt aus: Milch und Milchprodukte (112%), Fleisch (84%), Fisch (2%), Brotgetreide und Kartoffeln (im Schnitt 85%), Zucker (60%), Früchte (rund 25%), Eier und Gemüse (rund 50%), Pflanzenölen (rund 25%). – Raufutter (97%) und Kraftfutter (40%).

Wenn wir weniger Fleisch essen, könnten mehr pflanzliche Lebensmittel für eine ausgewogene Ernährung angebaut werden.


Versorgungssicherheit – Oft wird ein hoher Selbstversorgungsgrad mit einer hohen Versorgungssicherheit gleichgesetzt. Gemäss ETH-Analysen ist ein hoher Selbstversorgungsgrad jedoch kein Garant für Ernährungssicherheit. Der Input für die erzeugten Nahrungsmittel durch den Einsatz zahlreicher Produktionsmittel in Form von direkter und 'grauer' Energie, die zum grössten Teil importiert werden, bleibe dabei ungenügend berücksichtigt. Wie auch die Umwelt- und Klimabelastungen durch eine intensive Landwirtschaft. Ernährungssicherheit brauche auch eine intakte Natur und fruchtbare Böden.

Es gibt Möglichkeiten, den Selbstversorgungsgrad und die Versorgungssicherheit zu erhöhen: Indem wir allem voran keine Lebensmittel oder Produktionsfaktoren wie Energie verschwenden. Wenn wir weniger Fleisch essen, könnten mehr pflanzliche Lebensmittel für eine ausgewogene Ernährung angebaut werden – und das möglichst nachhaltig. Denn 60 Prozent der heimischen Ackerflächen wurden 2020 gemäss Bund für die Futtermittelproduktion verwendet. Um eine Kilokalorie zu erzeugen, benötigt die Fleischproduktion bedeutend mehr Fläche als etwa der Kartoffel- oder Gemüseanbau. Milch- und Fleischprodukte werden aber auch in Zukunft eine Rolle spielen, zumal ein grosser Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Schweiz Grasland ist.


Die aktuellen Pflichtlagervorgaben im Bereich Lebens- und Futtermittel in einer Übersicht. Eine Erhöhung der Pflichtlagermengen von Brotgetreide, Reis oder Speiseöl steht aktuell politisch zur Diskussion. Grafik: Gestalterei

Verwandte Artikel

Wechselnde Anforderungen in der Pflichtlagerhaltung

Themen rund um Nahrungs- und Futtermittelvorräte, Infrastrukturen und Finanzen zählen zum Aufgabengebiet von Hans Häfliger, Geschäftsführer der Réservesuisse Genossenschaft. Was hat sich bewährt? Gibt es Optimierungsbedarf? Mit vielen Fragen reiste das Kornmagazin im Oktober zum Interview nach Bern.
03.01.2023